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Anwaltstag 2012: Rechtsanwälte als Brückenbauer zwischen Bürgern und staatlichen Behörden

ÖRAK-Präsident Wolff: „Es geht nicht mehr nur um die Vertre-tung vor Gericht. Es geht insbesondere um den Einsatz für die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger im politischen Diskurs.“

„Wir sind die Schmiede eines funktionierenden Rechtsstaates. Wir sind stählerne Brücke zwischen individuellen Bürgerrechten und staatlichen Behörden.“ Mit diesen Worten eröffnet Dr. Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK), Freitag-Vormittag in der Linzer voestalpine Stahlwelt den diesjährigen Anwaltstag. Über 200 Spitzenvertreter aus Justiz, Politik und Wirt-schaft nehmen an der Fachtagung der Rechtsanwälte teil, die jedes Jahr in einem anderen Bundesland stattfindet.

In seiner Eröffnungsrede betont Wolff die zentrale Aufgabe der Rechts-anwaltschaft. Es gehe schon lange nicht mehr nur um die Vertretung vor Gericht. Wichtiger denn je sei der unumwundene Einsatz der Rechtsanwälte für die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger im politischen Diskurs. „Wir kämpfen für die Einhaltung der Grundrechte, bekennen uns bedingungslos zur Rechtsstaatlichkeit und arbeiten an einem barrierefreien Zugang zum Recht“, so Wolff. Authentisch sei man vor allem deshalb, weil der Rechtsstaat zugleich auch Grundlage für den Rechtsanwaltsberuf ist. „Ohne Rechtsstaat kein Rechtsanwalt“, so Wolff.

In der Vertrauenskrise, in der sich der Rechtsstaat derzeit befindet, sieht Wolff eine Herausforderung die nur gemeinsam zu lösen sei. Je größer der Grad der Rechtsstaatlichkeit in einem demokratischen Staat ist, desto größer werde auch das Vertrauen der Bürger in diesen Staat sein. Die oftmals lautstark vorgetragene Kritik der Rechtsanwälte an der Politik sei stets konstruktiv und zugleich Arbeitsauftrag und Ver-trauensbeweis. „Wir Rechtsanwälte üben nicht Kritik um Wählerstimmen zu gewinnen. Wir sind kein politischer Mitbewerber und sind daher auch keinen politischen Zwängen ausgesetzt. Wenn wir kritisieren, dann nur des Rechtes wegen“, so Wolff. Er sei überzeugt, dass es auch tatsächlich möglich ist, gemeinsam mit der Justiz und den politischen Entscheidungs-trägern einen Weg zu finden, der die Bürgerrechte sichert, stärkt und ausbaut. Verbesserungsbedarf bestehe allerdings in vielen Bereichen.

 

Zwtl.: Dorniger Zugang zum Recht; Wolff: „Justiz darf kein auf Profit ausgerichtetes Unternehmen sein!“

Den Zugang zum Recht bezeichnet Wolff als „dornig und voller schwer überwindbarer Hindernisse“. Die Gebührenlast sei groß, zugleich würden aber Serviceleistungen zurückgefahren. Dass sich die Justiz auf ihrer Website selbst als „Großunternehmen“ bezeichnet, missfällt dem Präsidenten der Rechtsanwälte. „Die Justiz ist kein auf Profit ausgerichtetes Unternehmen und darf dies auch nicht anstreben“, macht Wolff deutlich. Die vergangene Woche präsentierte CEPEJ-Studie des Europarates zeige, dass Österreichs Justiz 110 Prozent ihrer Ausgaben aus Gerichtsgebühren finanziert. Der europäische Durchschnitt liegt bei 22 Prozent. „Das ist kein Grund zum Feiern!“, mahnt Wolff. Es bedeute nichts anderes als die Abkehr vom Äquivalenzprinzip, wonach die Gebühren angemessen die mit der Erbringung einer staatlichen Leitung verbundenen Kosten zu decken haben. Wer sich gegen eine überhöhte Handyrechnung wehrt, einen Besuchsrechtsantrag einbringt oder einen Grundbuchsauszug benötigt, bezahle nicht unbeträchtliche Gerichtsgebühren ins allgemeine Budget um Löcher im Staatshaushalt zu stopfen. „Der Bürger bezahlt also in Wahrheit eine versteckte Steuer“, so Wolff. Österreich sei hier unter den 47 Mitgliedstaaten des Europarates Saulus und nicht Paulus.

Zwtl.: Wolff: „Neue Eintragungsgebühr ist ungebührlich!“

Als aktuelles Beispiel nannte Wolff den Entwurf einer Nachfolgeregelung der vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Eintragungsgebühr im Grundbuch. Diese ist fällig, sobald ein neuer Eigentümer einer Immobilie im Grundbuch eingetragen wird. Statt dem dreifachen Einheitswert soll künftig der Verkehrswert als Berechnungsgrundlage herangezogen werden. Dies führe zu einer erheblichen Mehrbelastung der breiten Bevölkerung, so Wolff. „Künftig wird zumindest das Doppelte zu bezahlen sein, in einigen Fällen ein Vielfaches“. Dafür dass ein Beamter den Namen des neuen Eigentümers im elektronischen Grundbuch einträgt. „Das ist ungebührlich, eine EintragungsUNgebühr“, kritisiert Wolff und hält es für überfällig, „den Fuß vom Gaspedal zu nehmen und stattdessen auf die Gebührenbremse zu steigen“. Auch 60 Cent pro kopierter Aktenseite seien noch immer zu viel. Dringend benötigt werde der digitale Akt in Zivil- und Strafsachen. Außerdem fordert Wolff eine Deckelung der Gerichtsgebühren bei hohen Streitwerten und eine Abschaffung der Vergleichsgebühr.

Zwtl.: Wolff: „Eine sich selbst finanzierende Justiz ist rechtsstaatlicher Unfug!“

Dass aus rein budgetären Erwägungen die Dauer des Gerichtspraktikums sowie die Bezahlung der Gerichtspraktikanten drastisch gekürzt wurden, sei angesichts der jährlich steigenden Gebühreneinnahmen ein Unding. Wolff appelliert zur alten Regelung zurückzukehren. Grundsätzlich sei eine sich selbst finanzierende Justiz rechtsstaatlicher Unfug, auf den man nicht stolz zu sein brauche. Niemand würde auf die Idee kommen zu fordern, die Polizei müsse kostendeckend arbeiten und sich über Strafmandate finanzieren. „Der Staat hat den Rechtsgewährungsanspruch der Bürgerinnen und Bürger zu erfüllen und für Rechtsfrieden zu sorgen“, so Wolff. In Europa sei Österreich mit einer Kostendeckung von 110 Prozent nicht deswegen einzigartig, weil wir als einzige den richtigen Weg eingeschlagen hätten. „Das erinnert mich ein wenig an die hunderten Geisterfahrer, die dem eigentlich einzigen Geisterfahrer entgegenkommen. Darauf brauchen wir nicht stolz zu sein!“, so Wolff.

Zwtl.: Österreich im Europavergleich Nachzügler bei personeller Ausstattung der Justiz

Sowohl im Bereich der Staatsanwaltschaft als auch an den Gerichten sei die österreichische Justiz massiv unterbesetzt, so Wolff. Laut CEPEJ-Studie kommen im europäischen Durchschnitt auf 100.000 Einwohner 11 Staatsanwälte. In Österreich sind es 4. „Noch weniger Strafverfolger als in Österreich findet man in Ländern wie Andorra und San Marino“, so Wolff. Jeder Staatsanwalt hat hierzulande 1.602 Fälle pro Jahr zu bearbeiten, der europäische Durschnitt beträgt hingegen 615. Auch bei der Anzahl an Richtern ist Österreich ein Nachzügler. Knapp 18 Richter leistet sich die Republik pro 100.000 Einwohner. Der europäische Durchschnitt liegt bei 23. In Anbetracht dieser Relationen könne man vor der Leistung der heimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Justiz nur den Hut ziehen, so Wolff. Ihnen sei es zu verdanken, dass Österreich sehr schnelle Erledigungszeiten, vor allem im streitigen Zivilverfahren (129 Tage) hat. Noch besser würde die Justiz jedoch abschneiden, hätte man auch entsprechende Personalressourcen. „Hier ist die Politik gefordert, Geld für den Rechtsfrieden in diesem Land in die Hand zu nehmen und nicht den Arbeitsanfall an den Gerichten durch überhöhte Gebühren zu regulieren“, fordert Wolff.

Zwtl.: Gleichung „Weniger Gerichte = noch schnellere Verfahren“ wird durch CEPEJ-Studie klar widerlegt

Keinen Zusammenhang kann ÖRAK-Präsident Wolff zwischen einer geringeren Anzahl an Gerichtsstandorten und schnelleren Verfahren feststellen. Jene Länder, die als neues Vorbild bei der Anzahl an Gerichtsstandorten genannt werden, sind genau diejenigen, die sich mit wesentlich längeren Verfahrensdauern herumschlagen müssen“, erklärt Wolff und nennt Ungarn, die Slowakei, Kroatien, Deutschland, Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland, Polen und Serbien als Beispiele. Sie alle haben weniger Gerichte pro 100.000 Einwohner als Österreich, die Verfahren dauern aber wesentlich länger als hierzulande. Jedes Land habe eine eigene, historisch gewachsene Gerichtsstruktur, die stark mit der Bevölkerungsdichte und regionalen, geografischen Besonderheiten zusammenhänge. Wolff wünscht sich eine auf Basis von evaluierten Ergebnissen geführte, offene und zukunftsorientierte Diskussion über die österreichische Gerichtsstruktur. Wolff: „Unser Ziel muss es sein, an der Spitze Europas zu stehen, wenn es um Bürgerrechte, Rechtsstaatlichkeit und Justizeffizienz geht“. So wie die Skandinavier das europäische Bildungsvorbild sind, müsse Österreich das europäische Maß aller Dinge in der Justiz werden.

Zwtl.: Auch in anderen Bereichen der Justizpolitik gilt: Mehr Visionen für die Zukunft und Offenheit sowie Fairness in der Diskussion

Auch in anderen Bereichen der Justizpolitik erhofft sich Wolff mehr Visionen für die Zukunft und Offenheit sowie Fairness in der Diskussion. Im Strafrecht sei es an der Zeit, endlich Waffengleichheit herzustellen, zum Beispiel bei Gutachten. Der Staatsanwalt bestellt und beauftragt den Sachverständigen, bezahlt ihn aus Steuergeldern und führt ihn als Hilfsperson des Gerichtes ein. Dem Beschuldigten steht aber kein Recht zu, einen Privatsachverständigen gleichrangig im Strafverfahren einzubinden. Außerdem fordert Wolff das Recht auf einen Simultandolmetscher im Strafverfahren für diejenigen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. „Das ist rechtsstaatlich“, so Wolff. Außerdem sei die Kontaktaufnahme mit einem Rechtsanwalt sofort nach der Festnahme durch die Polizei zu gewährleisten. „Die Rechte des Beschuldigten müssen endlich ernst genommen werden, auch wenn das Thema vielleicht nicht populär ist“, so Wolff. Mehr Engagement der Justizpolitik fordert Wolff vor allem gegen den immer größer werdenden Hunger der Behörden nach den Daten der Bürgerinnen und Bürger. „Wir erwarten uns endlich ein deutliches Zeichen und Auftreten für die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger“, so Wolff. Man werde nicht müde werden, dies weiterhin zu fordern und vorzuleben.

Zwtl.: „Good Governance“ – Rechtsanwälte fordern mehr Sorgfalt und Transparenz im Gesetzwerdungsprozess

Nicht nur die Justiz, sondern die Politik schlechthin leide derzeit unter einer Vertrauenskrise, so Wolff. Gute politische und legistische Arbeit sei die Voraussetzung, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger wieder zurückzugewinnen. Unter dem Schlagwort „Good Governance“ fordert Wolff daher größtmögliche Sorgfalt und Transparenz im Gesetzwerdungsprozess. „Man muss erkennen können, wer welche Änderung in einem Gesetzesentwurf mit welchem Argument vorgenommen hat oder auf wessen Anregung oder Stellungnahme eine Änderung erfolgt ist“, erklärt Wolff. Dies ließe sich im Internetzeitalter problemlos bewerkstelligen und würde das Vertrauen in die Politik stärken.

Zwtl.: Wolff: „Verschwiegenheit schützt den Bürger, sie schützt ein Grundrecht.“

Gerade wenn es um das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf verschwiegene Beratung mit ihrem Rechtsanwalt geht, wenn es um den Schutz des Journalismus oder das Arztgeheimnis geht, sei Transparenz und Dialog das Mittel der Wahl, gibt Wolff zu bedenken. „Ich erwarte mir, dass sich die österreichischen Vertreter auch auf europäischer Ebene für dieses Grundrecht einsetzen“, so Wolff in Anspielung an die sogenannte „Measure C“, die derzeit auf der Brüsseler Tagesordnung steht. Auch hier lauere ein bedrohlicher Angriff auf die Verschwiegenheit, dem es entgegenzutreten gelte. Nicht nur von den Rechtsanwälten, sondern vor allem von den Vertreterinnen und Vertretern der Republik Österreich im Rat, in der Kommission und im Europäischen Parlament. Die Aussage „Da könne man nichts machen, das kommt ja aus Brüssel“ werde man nicht gelten lassen. „Wir werden nicht zulassen, dass die Verschwiegenheit nun über die Brüsseler Hintertür ausgehöhlt wird“, so Wolff.

Zwtl: Wolff fordert offene Diskussion und stärkere Einbindung in justizpolitische Prozesse

Gemeinsames Ziel sei es, unseren Rechtsstaat zum europäischen Maßstab zu machen. Dazu müsse das Justizministerium die Rechtsanwälte aber stärker als Partner in justizpolitische Prozesse einbinden. „Diskutieren wir offen“, fordert Wolff. „Setzen wir uns gemeinsam mit den Möglichkeiten einer zukünftigen Gerichtsstruktur auseinander. Überlegen wir, wie man Verfahren noch schneller und bürgerfreundlicher abwickeln kann. Denken wir gemeinsam über Alternativen zum Strafvollzug nach. Machen wir uns Gedanken über die Weiterentwicklung des Familienrechts und Modelle zur kollektiven Rechtsdurchsetzung. Stärken wir gemeinsam die Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger. Setzen wir eine „Good Governance“-Initiative für eine bürgernähere und transparentere Gesetzwerdung. Machen wir uns gemeinsam Gedanken, wie man den parlamentarischen Untersuchungsausschuss auf neue Beine stellen kann: als echtes Minderheitenrecht mit einem rechtsstaatlichen Verfahrensrecht und einer Aufwertung der rechtlichen Stellung der Auskunftsperson. Diskutieren wir offen, welche Varianten in Zusammenhang mit dem Weisungsrecht denkbar sind, wo die jeweiligen Vor- und Nachteile liegen. Offener Dialog, gemeinschaftliches Denken, gemeinsame Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger – das wünschen wir uns und dafür stehen wir!“, so Wolff in seiner Eröffnungsrede.

Zwtl.: Hochkarätige Gäste am Anwaltstag

Die Liste der Teilnehmer am diesjährigen Anwaltstag umfasst zahlreiche Spitzenvertreter aus Justiz, Politik und Wirtschaft, die von Dr. Peter Posch, Präsident der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer, begrüßt wurden. Allen voran Justizministerin Mag. Dr. Beatrix Karl, Wirtschaftskammerpräsident Dr. Christoph Leitl sowie den Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins Dr. Wolfgang Ewer, der in seinem Festvortrag das Thema „Der Rechtsanwalt als Übersetzer beleuchtet“. Am Freitag-Nachmittag tagen zwei Kommissionen, die sich mit den Themen „Rechtsmittelverfahren im Strafverfahren“ (mit OGH-Präsident Prof. Dr. Eckart Ratz) und „Neuerungen im Recht der Lebensgemeinschaften“ (mit Hofrat des OGH Dr. Edwin Gitschthaler) befassen.

 

In Österreich gibt es 5800 Rechtsanwälte und 1900 Rechtsanwaltsanwärter. Rechtsanwälte sind bestausgebildete und unabhängige Rechtsvertreter und -berater, die nur ihren Klienten verpflichtet und verantwortlich sind. Primäre Aufgabe ist der Schutz, die Verteidigung und die Durchsetzung der Rechte Einzelner. Dritten gegenüber sind Rechtsanwälte zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet, womit auch eine völlige Unabhängigkeit vom Staat gewährleistet wird. Vertreten werden die Rechtsanwälte durch die Rechtsanwaltskammern in den Bundesländern sowie durch den Österreichischen Rechtsanwaltskammertag, ÖRAK, mit Sitz in Wien.

 

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