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Verwaltungsgerichte: Rechtsanwälte lehnen Reformvorschlag entschieden ab

Benn-Ibler: „Der vorliegende Entwurf ist nicht ausreichend durchdacht und als Reform völlig untauglich!“

Heute, Freitag, endet die Begutachtungsfrist für den vom Bundeskanzleramt erstellten Entwurf einer Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle. Damit soll die schon seit geraumer Zeit geplante Einführung von 9 Landes- und 2 Bundesverwaltungsgerichten umgesetzt werden. Im Gegenzug sollen der administrative Instanzenzug abgeschafft und über 120, großteils völlig unterschiedliche, Sonderbehörden aufgelöst werden. Über Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde sollen dann nur noch die neu zu schaffenden Verwaltungsgerichte entscheiden. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) steht zwar der Einrichtung einer Landesverwaltungsgerichtsbarkeit prinzipiell positiv gegenüber, erteilt den vorliegenden Plänen jedoch eine klare Absage und führt in seiner von RA Dr. Armenak Utudjian vorbereiteten Stellungnahme eine ganze Reihe von Kritikpunkten ins Treffen.

Zwtl.: Kahlschlag von 120 Kollegialbehörden richterlichen Einschlags völlig unnotwendig und verfehlt

Im Fokus der anwaltlichen Kritik steht die geplante, undifferenzierte Abschaffung aller rund 120 Kollegialbehörden „richterlichen Einschlags“ bzw weisungsfreien Organe, deren Agenden nunmehr an die neuen Verwaltungsgerichte übertragen werden sollen. „Ein inakzeptabler Kahlschlag“, so ÖRAK-Präsident Dr. Gerhard Benn-Ibler.

Durch diese Sonderbehörden „richterlichen Einschlags“ wurden bisher besondere Materien erledigt, die nicht nur allgemein verwaltungsrechtliches Wissen, sondern darüber hinaus vor allem besondere Fachkenntnisse im jeweiligen Spezialgebiet erfordern. Dazu zählen unter anderem die Disziplinarkommissionen der freien Berufe wie etwa die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission (OBDK) der Rechtsanwälte, der Oberste Patent- und Markensenat, die Datenschutzkommission, die Bundesschiedskommission, die Agrarsenate und viele mehr. „Bei vielen dieser Behörden handelt es sich um bestens funktionierende Einheiten, die geradezu Vorzeigebeispiele in Sachen effizienter Verwaltung sind“, stellt Benn-Ibler klar. Es sei nicht einzusehen, warum diese nun überfallsartig geopfert werden sollten, nur um öffentlichkeitswirksam vermeintliche Einsparungen durch Schließung von über 100 Behörden verkünden zu können – obendrein ein schwerer Trugschluss, wie sich bei näherer Betrachtung zeigt.

Zwtl.: Drohende Qualitätseinbußen durch Wegfall bewährter Synergien

Die Qualität dieser Behörden wird seit Jahrzehnten durch ihre ausgewogene Besetzung garantiert: erfahrene Richter und Mitglieder der jeweiligen Berufsgruppe entscheiden derzeit gemeinsam. Geplant ist nun, alle diese Gremien durch die Bank zu beseitigen und deren Agenden, je nach Materie, den Landesverwaltungsgerichten bzw dem Bundesverwaltungsgericht zu übertragen. Wie dies im Detail aussehen soll, ist jedoch ungewiss. „Der Entwurf enthält ein bloßes Rahmengerüst und bleibt jegliche Ausgestaltung schuldig“, kritisiert Benn-Ibler. Es sei daher völlig offen, wie eine derartige Fülle unterschiedlichster Spezialmaterien in die geplanten Verwaltungsgerichte integriert werden soll. Ob diese unter solchen Umständen überhaupt funktionsfähig wären, könne derzeit nur gemutmaßt werden.

„Fest steht: Ein Aufbrechen dieser bewährten Synergien würde funktionierende, flexible Rechtsschutzsysteme ohne ersichtlichen Grund beseitigen und zwangsläufig zu erheblichen Qualitätseinbußen führen“, warnt der ÖRAK-Präsident. Über Jahrzehnte aufgebautes Know-how würde mit einem Federstrich verloren gehen.

Zwtl.: Kein Einsparungspotential, dafür Mehrkosten für den Steuerzahler

„Dass diese Pläne nun auch noch mit dem Argument der Kostenersparnis schön geredet werden, steht exemplarisch für die mangelnde Sorgfalt bei der Erstellung des Entwurfs“, ärgert sich Benn-Ibler. Viele der aufzulösenden Sonderbehörden kosten den Staat nämlich keinen Cent, da sie, wie die OBDK der Rechtsanwälte, ohnehin bereits zur Gänze von den beteiligten Berufsgruppen finanziert werden. „Es ist daher für die öffentliche Hand gar kein Einsparungspotential vorhanden“, ergänzt der ÖRAK-Präsident.

Ganz im Gegenteil: Eine Auflösung dieser bisher eigenfinanzierten Behörden und deren Eingliederung in die Verwaltungsgerichtsbarkeit würde aufgrund des erforderlichen Mehraufwandes an festangestelltem Personal und sonstigen Ressourcen (zB Räumlichkeiten, Zukauf externen Know-hows, usw) sogar Mehrkosten für Bund und Länder bedeuten, und damit zur Gänze zu Lasten des Steuerzahlers erfolgen. Dies gilt insbesondere für die Disziplinarkommissionen der freien Berufe als flexible, nicht ständig tagende „ad-hoc“-Behörden. „Heraus käme ein kostspieliger ,Moloch‘ von Bundesverwaltungsgericht mit unzähligen Richtern und Senaten, die über unterschiedlichste Spezialmaterien entscheiden müssten“, warnt Benn-Ibler. Es sei daher nicht einzusehen, warum sämtliche weisungsfreie Sonderbehörden, undifferenziert und ohne im Einzelfall evaluiert worden zu sein, abgeschafft und effiziente Kostenstrukturen dadurch zerschlagen werden sollen. Das Einsparungsargument sei jedenfalls leicht zu widerlegen.

Zwtl.: Selbstverwaltung wird tief erschüttert; Akzeptanz und Vertrauen in der Bevölkerung werden nachhaltig geschädigt

Durch die Aufgabe der unabhängigen Disziplinargerichtsbarkeit wird ein Wesenskern der Selbstverwaltung aller freien Berufe tiefgreifend erschüttert. „Dies ist auch insofern widersprüchlich, als die Kammerautonomie der freien Berufe erst kürzlich verfassungsrechtlich verankert wurde“, wundert sich Benn-Ibler über die offenbar abhanden gekommene Kontinuität bei der Verfassungsgesetzgebung. Außerdem sei die Ausübung der Disziplinargerichtsbarkeit keine Verwaltungsmaterie, sondern wäre der Rechtsprechung zuzuordnen. Neben der Gefahr, dass durch diesen Systemwechsel die Akzeptanz autonomer Standesregelungen innerhalb der betroffenen Berufe erschüttert wird, befürchtet Benn-Ibler, dass vor allem das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Unabhängigkeit und Qualität zahlreicher Berufsgruppen nachhaltig geschädigt wird. Schließlich handle es sich bei der unabhängigen Disziplinargerichtsbarkeit um eine wesentliche Errungenschaft für die Bürgerinnen und Bürger.

Zwtl.: Verwaltungsgerichtsbarkeit sollte der Justiz zugeordnet sein; Durchführungsgesetze fehlen gänzlich

Neben den Bedenken hinsichtlich der Abschaffung aller Kollegialbehörden richterlichen Einschlags, sehen die Rechtsanwälte auch andere Schwachpunkte im vorliegenden Entwurf. So sollte die Verwaltungsgerichtsbarkeit nach Auffassung der Rechtsanwaltschaft grundsätzlich Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit und somit der Justiz zugeordnet sein. „Nur so kann auch in diesem Rechtsgebiet ein hoher rechtsstaatlicher Qualitätsstandard gewährleistet werden“, erklärt Benn-Ibler und verweist auf die Notwendigkeit eines einheitlichen Richterbildes. Außerdem sei es schlichtweg unmöglich, die Verwaltungsgerichtsbarkeit als Ganzes beurteilen zu können, solange nicht die dafür notwendigen Durchführungsgesetzte vorliegen. Die Rechtsanwälte plädieren daher dafür, gemeinsam mit der Verfassungsnovelle auch die Organisations- und Verfahrensgesetze zur Begutachtung vorzulegen.

„Eine echte Verwaltungsgerichtsbarkeit kann unserer Auffassung nach einen sehr wichtigen Beitrag zur Effizienz- und Qualitätssteigerung von Verwaltungsverfahren mit sich bringen. Der nun vorliegende Entwurf ist dazu jedoch überhaupt nicht geeignet und aus den genannten Gründen strikt abzulehnen“, fasst Benn-Ibler die Position der Rechtsanwaltschaft zusammen. Da es sich bei dem Entwurf um Verfassungsmaterie handelt, wäre für die Beschlussfassung im Nationalrat eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.

Die ausführliche ÖRAK-Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2010 ist unter www.rechtsanwaelte.at (Menüpunkt „Stellungnahmen“) online abrufbar.

 

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Rückfragehinweis:
Österreichischer Rechtsanwaltskammertag,
Bernhard Hruschka Bakk., Tel.: 01/535 12 75-15
hruschka@oerak.at, www.rechtsanwaelte.at

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