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Zivilverfahrens-Novelle: Rechtsanwaltschaft lehnt Schwächung bewährter Rechtsschutzstandards entschieden ab

Benn-Ibler: „Die geplante Abschaffung der Eigenhandzustellung von Klagen geht auf Kosten der Rechtsicherheit der Bürger!“

Rechtzeitig zum heutigen Ende der Begutachtungsfrist lässt der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) in seiner von RA Dr. Elisabeth Scheuba vorbereiteten Stellungnahme kaum ein gutes Haar am vorgelegten Gesetzesentwurf. Vor allem hinsichtlich einiger folgenschwerer Eingriffe in bewährte österreichische Rechtsschutzstandards bestehen gravierende Bedenken. „Der Entfall von Eigenhandzustellungen von Klagen ist ebenso strikt abzulehnen wie die neuen Vorschriften über den Zustellbevollmächtigten“, so ÖRAK-Präsident Dr. Gerhard Benn-Ibler.

Im Detail sieht der Gesetzesentwurf vor, Klagen künftig nicht mehr per RSa-Brief zu versenden, sondern mittels weißen Rückscheinbriefes (RSb) auch die Übergabe an einen Ersatzempfänger (zB Ehepartner) zu ermöglichen. „Die im Bewusstsein der Bürger fest verankerte Bedeutung des so genannten ,blauen Briefes’ würde damit völlig verloren gehen“, gibt Benn-Ibler zu bedenken, „die Gefahr für den Beklagten, Fristen zu versäumen, wäre erheblich vergrößert.“ Zweck der RSa-Zustellung sei es, den Beklagten auf das Schriftstück in besonderem Maße aufmerksam zu machen und in weiterer Folge den an die Zustellung geknüpften Fristenlauf zu bestimmen. „Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn der Beklagte persönlich das Schriftstück übernimmt“, so Benn-Ibler. „Es wäre untragbar, dass etwa in einem Scheidungsverfahren die Ehefrau ihre eigene Klage für den beklagten Ehemann übernehmen kann. Missbrauch durch Unterdrückung der übernommenen Schriftstücke wäre Tür und Tor geöffnet“, präzisiert Benn-Ibler.

Die seitens des Gesetzgebers erhofften Einsparungen wurden bereits in der Vergangenheit im Zuge des Wegfalls des Zustellnachweises bei der Ladung von Zeugen widerlegt: Nicht nur, dass das veranschlagte Sparpotenzial durch eine Gebührenerhöhung der Post zunichte gemacht wurde, zusätzlich anfallende Verfahrenskosten aufgrund nicht erschienener Zeugen verursachen seither neue Belastungen. „Man muss kein Prophet sein, um vorhersagen zu können, dass die erwartete Ersparnis auch im aktuellen Fall nicht eintreten wird“, so der ÖRAK-Präsident, der fehlendes Augenmaß im Umgang mit unverzichtbaren Rechtsschutzstandards ausmacht. „Erwägungen zu möglichen Einsparungen sollten generell im Hintergrund stehen, wenn es um den Erhalt des Rechtsschutzes in Österreich geht“, fordert Benn-Ibler.

Auch hinsichtlich der vorgeschlagenen Regelung, wodurch gerichtliche Schriftstücke Parteien, die keine Abgabestelle im Inland haben, dennoch zustellbar gemacht werden sollen, hegt die Rechtsanwaltschaft begründete Bedenken. So ist im Entwurf die Aufnahme in die Ediktsdatei vorgesehen, sollte dem Auftrag zur Bestellung eines Zustellbevollmächtigten nicht fristgerecht nachgekommen werden. „Dadurch wären Informationen über die Anhängigkeit eines Gerichtsverfahrens für jedermann im Internet zugänglich“, so Benn-Ibler, „somit kann ein möglicher Image-Schaden nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Gerade bei Verfahren, die nicht öffentlich sind, scheint eine solche Vorgangsweise sachlich nicht gerechtfertigt.“

Angesichts der Eingliederung des Europäischen Mahnverfahrens sowie des Europäischen Bagatellverfahrens in die Österreichische Zivilprozessordnung muss auf eine drohende Verschlechterung des Rechtsschutzniveaus hingewiesen werden. „Beide Verfahrenstypen bieten bei weitem nicht jenen Rechtsschutzstandard, den das Instrumentarium der ZPO für das rein österreichische Mahnverfahren zur Verfügung stellt“, so Benn-Ibler. Das Gegenteil ist der Fall: „Heimische Rechtsschutzstandards werden im EU-Verfahren zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden substantiell eingeschränkt oder überhaupt beseitigt“, kritisiert der ÖRAK-Präsident.

„Positive Reform-Ansätze, wie etwa die vorgeschlagene Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens, der Vorschuss auf Barauslagen des Verfahrenshelfers oder die Zulassung der Nebenintervention, werden von gravierenden Eingriffen in bestehende und bewährte Rechtsschutzinstrumentarien in den Schatten gestellt. Im Sinne der Rechtsicherheit der Bürger ist eine gründliche Überarbeitung des Entwurfs daher unabdingbar“, so Benn-Ibler zusammenfassend.

 

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Rückfragehinweis:
Österreichischer Rechtsanwaltskammertag,
Bernhard Hruschka Bakk., Tel.: 01/535 12 75-15,
hruschka@oerak.at, www.rechtsanwaelte.at

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