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Anwaltstag 2011: ÖRAK-Präsident Benn-Ibler verlässt nach 9 Jahren die justizpolitische Bühne

Politikverdrossenheit, Vertrauenskrise der Justiz, Rechtsentwicklung, Grundrechte und Ethik im Mittelpunkt seiner abschließenden Betrachtungen

In Eisenstadt werden dieser Tage die Weichen für die Nachfolge an der Spitze der anwaltlichen Standesvertretung, dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) gestellt. Ausgerechnet dort, wo Dr. Gerhard Benn-Ibler vor neun Jahren erstmals zum obersten Repräsentanten der heute mehr als 5600 Rechtsanwälte und 1900 Rechtsanwaltsanwärter gewählt worden war, zieht sich der 71-jährige nach drei Funktionsperioden aus der Standesvertretung zurück. Benn-Ibler kann auf eine lange, justizpolitisch ereignisreiche Zeit mit fünf Justizministern zurückblicken, in der sich die österreichischen Rechtsanwälte stärker als je zuvor als wesentlicher Faktor für den Rechtsstaat etabliert haben. Die Wahl seines Nachfolgers findet morgen, Samstag, durch die ÖRAK-Vertreterversammlung statt.

Im Rahmen der heutigen festlichen Eröffnung des Anwaltstages im Festsaal der Wirtschaftskammer Burgenland nahm Benn-Ibler nach Begrüßungsworten des Präsidenten der Rechtsanwaltskammer Burgenland, Dr. Thomas Schreiner, vor 180 geladenen Gästen aus Justiz, Politik, Anwaltschaft und Wirtschaft in seiner Eröffnungsrede eine Standortbestimmung vor.

Zwtl.: Politikverdrossenheit in der Bevölkerung: Vertrauen in die Politik muss durch verantwortungsvolles, ethisches Handeln wieder gestärkt werden

Angesichts der allgemeinen Politikverdrossenheit in der Bevölkerung zeigte sich der scheidende ÖRAK-Präsident besorgt. „Laut einer aktuellen Umfrage interessieren sich nur noch 26 Prozent der Bevölkerung überhaupt für Politik. Daran erkennt man das Unbehagen der Bevölkerung mit einer Politik, der man immer weniger Interesse und Vertrauen entgegen bringt“, so Benn-Ibler. Die Problemlösungskompetenz der Politik scheine abzunehmen, die Trennlinie zwischen den Säulen Gesetzgebung und Verwaltung verschwimme zusehends. „Es reicht nicht, dass Gesetze – auch Verfassungsgesetze – nur vordergründig angewandt werden, dahinter aber neue Kräfteverhältnisse und Machtstrukturen entstehen“, so Benn-Ibler. Gefordert seien Transparenz und Integrität, es sei dem Geist der Gesetze zu folgen, in einer neuen Qualität, aufrichtig und ehrlich. Ethisches Handeln aller Beteiligten, insbesondere der Politik, sei notwendig, um das angekratzte Vertrauen wieder herzustellen.

Zwtl.: Justiz wurde jahrelang von der Politik im Stich gelassen

„Die Justiz konnte sich lange Zeit aus der Diskussion heraushalten, dies kann sie nun immer weniger“, so Benn-Ibler, der dafür vor allem sachliche Gründe nannte. Die jahrelange Unterdotierung habe zu einer personellen Ausdünnung und Schwächung auch in den Sachressourcen geführt. Die Justiz sei als Selbstläufer angesehen und jahrelang von der Politik regelrecht im Stich gelassen worden. In Kombination mit einem höheren Anfall und der Notwendigkeit, immer kompliziertere wirtschaftliche Zusammenhänge zu erkennen und zu beurteilen, führe das dazu, dass Verfahren objektiv gesehen mitunter tatsächlich zu lange dauern. Die fehlenden Personalressourcen seien jedoch nicht von heute auf morgen wieder aufzubauen. „Richter und Staatsanwälte werden nicht über das AMS vermittelt, sondern bedürfen einer jahrelangen Ausbildung“, gibt Benn-Ibler zu bedenken. Diese Tatsache sei offenbar nicht ausreichend bedacht worden und werde durch die Verkürzung der Gerichtspraxis auf fünf Monate weiter konterkariert.

Zwtl.: Halbierung der Kopierkosten ist erster Schritt in richtige Richtung

„Gleichzeitig verteuert man aber die Justiz in völlig ungerechtfertigter Weise“, verwies Benn-Ibler auf die Gebührenerhöhungen der letzten beiden Jahre. „Rechtsgewähr durch die dritte Säule ist Staatsaufgabe“, so Benn-Ibler. Dieser Aufgabe komme der Staat aber immer weniger nach, und das, obwohl die Einnahmen durch Gebühren bereits im Jahr 2008 die Ausgaben der Justiz überschritten hätten, wie eine Studie des Europarates eindeutig belege. Nur wenn der Zugang zum Recht auch wirklich allen Bürgerinnen und Bürgern gewährleistet sei, könne Rechtsfrieden hergestellt werden. Von einem „erfreulichen Umdenken“ sprach der ÖRAK-Präsident in Zusammenhang mit der vom Justizministerium angekündigten Halbierung der Kopierkosten von 1,10 Euro pro Seite. Dies sei zwar ein insgesamt nicht ausreichender Teilaspekt, aber immerhin ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Zwtl.: Justiz muss eigenes Handeln besser erklären

Die Justiz werde in Zukunft der Bevölkerung aber auch besser verständlich machen müssen, warum gewisse Dinge eben nicht in aller Öffentlichkeit geschehen können, weil dies ein rechtsstaatliches Verfahren eben nicht zulasse. „Ebenso deutlich muss die Justiz aber auch vermitteln, dass sie ihre Aufgaben tatsächlich wahrnimmt, ohne Zuruf und ohne Ansehen der Person“, so Benn-Ibler, „Man kann der Justiz vertrauen, aber die Öffentlichkeit muss davon auch überzeugt sein. Hier tragen wir alle Verantwortung, die Politik, die rechtsberatenden Berufe, die Medien und die Justiz selbst.“

Zwtl.: Grund- und Freiheitsrechte werden unterlaufen: Straftatbestände werden immer breiter, der Ruf nach noch mehr Überwachungsinstrumenten immer lauter

Die Rechtsentwicklung in Österreich und Europa bezeichnete Benn-Ibler als eines seiner besonderen Anliegen. Als von staatlichem Einfluss völlig unabhängige Berufsgruppe seien die Rechtsanwälte in besonderem Maße berufen, ihre Stimme dann zu erheben, wenn es rechtsstaatlich notwendig ist. Es sei der Bürger, der im Mittelpunkt jeder Überlegung stehen müsse. „Es geht um die Freiheit, die Achtung des Individuums, die Selbstbestimmung, die grundsätzliche Chancengleichheit, um Grundrechte, wie insbesondere den Schutz der Privatsphäre und Datenschutz“, so Benn-Ibler. Freiheit und Grundrechte seien wichtig, aber im öffentlichen Diskurs leider nur Randthemen.

Die Rechtsanwaltschaft betrachte mit Sorge, dass mit dem Argument der Terrorbekämpfung und Gefahrenabwehr Grund- und Freiheitsrechte unterlaufen werden. Dazu gehört auch, dass Straftatbestände immer breiter würden, weil man ohne Rücksicht auf unerwünschte Nebenwirkungen möglichst alles Denkbare mit umfassen will. Dabei drohe die erforderliche Bestimmtheit der Straftatbestände verloren zu gehen, der Bürger sei immer weniger in der Lage zu erkennen, was erlaubt und was verboten ist. „Von Auswüchsen wie sie der Tierschützerprozess vorgezeigt hat ganz zu schweigen“, so Benn-Ibler.

Der Ruf der Sicherheitsbehörden nach ausgedehnten Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr in Zusammenhang mit potentiellen, terroristischen Einzeltätern sei zwar aus Sicht der Behörden nachvollziehbar, aber dennoch in höchstem Maße bedenklich. Durch eine verdachtsunabhängige Anhäufung personenbezogener Daten Einzelner ohne richterliche Bewilligung oder Gefahr im Verzug würde tief in die verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre des Bürgers eingegriffen. Die im aktuellen Entwurf vorgesehene Einbeziehung eines Rechtsschutzbeauftragten sei keine Lösung des Problems. „Ein Rechtsschutzbeauftragter macht nur dann Sinn, wenn er völlig unabhängig ist und tatsächlich Kontrolle ausüben kann. Dafür bräuchte er aber auch entsprechende Personal- und Sachressourcen, also ein eigenes Budget“, so Benn-Ibler. „Die Rechtsanwaltschaft wird unablässig gegen derartige Fehlentwicklungen auftreten“, kündigte Benn-Ibler heftigen Widerstand gegen Eingriffe in den Kernbereich der Grundrechte an.

Zwtl.: Im Kampf gegen die „apokalyptischen Reiter der Gegenwart“ muss der Mensch mit seinen Grundrechten im Mittelpunkt stehen; Ethikdiskussion ist notwendig

„Finanzkrise, organisierte Kriminalität, Korruption und Terrorismus sind die apokalyptischen Reiter, die unsere Welt heute heimsuchen. Wir müssen dagegen ankämpfen. Aber wir haben den Kampf schon verloren, wenn wir nicht dennoch den Menschen mit allen seinen unverbrüchlich zu haltenden Grundrechten, die seine Menschenwürde sichern, in den Mittelpunkt stellen“, so Benn-Ibler. Es sei Aufgabe der Rechtsanwaltschaft, im Interesse des Bürgers und der Rechtsstaatlichkeit wachsam zu sein, und die Gefahr von Grundrechtseingriffen wie ein Seismograph aufzuzeigen. Gerade in einer krisenhaften Zeit komme es darauf an, dass Grundwerte hochgehalten werden, dazu gehöre auch ethisches Handeln. Eine Ethikdiskussion sei daher auch in Österreich zu führen, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik wieder herzustellen.

„Ich danke allen Wegbegleitern aus der Anwaltschaft, der gesamten Justiz, der Politik und den Vertretern der Medien, die mich in den neun Jahren als Präsident einer, wie ich meine, maßgeblichen Institution des Rechtsstaates begleitet und uns Rechtsanwälte beim redlichen Bemühen für Freiheit, Bürgerrechte und Rechtsstaat unterstützt haben“, so Benn-Ibler abschließend.

Zwtl.: Anwaltstag 2011: Weiteres Programm

Nach Grußbotschaften des Präsidenten der Wirtschaftskammer Burgenland, Ing. Peter Nemeth, des dritten Präsidenten des Burgenländischen Landtages, Dr. Manfred Moser, der Eröffnungsrede des scheidenden ÖRAK-Präsidenten und einer Festansprache durch Sektionschef Dr. Josef Bosina aus dem Bundesministerium für Justiz, stand ein Festvortrag des ehemaligen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, Univ.-Prof. DDr. Karl Korinek, zum Thema „Die Zukunft der Verfassung“ auf dem Programm. Am Nachmittag beschäftigen sich ab 14 Uhr zwei Kommissionen mit den Themen „Effizienz der Justiz im europäischen Vergleich“ sowie „Der Rechtsanwalt in Zukunft“. Morgen, Samstag, werden im Rahmen der ÖRAK-Vertreterversammlung der neue ÖRAK-Präsident sowie drei Vizepräsidenten gewählt. Die Funktionsperiode beginnt unmittelbar nach erfolgter Wahl und beträgt drei Jahre. Das vollständige Programm sowie weitere Informationen zum Anwaltstag 2011 in Eisenstadt sind unter www.anwaltstag.at online abrufbar.

In Österreich gibt es 5600 Rechtsanwälte und 1900 Rechtsanwaltsanwärter. Rechtsanwälte sind bestausgebildete und unabhängige Rechtsvertreter und -berater, die nur ihren Klienten verpflichtet und verantwortlich sind. Primäre Aufgabe ist der Schutz, die Verteidigung und die Durchsetzung der Rechte Einzelner. Dritten gegenüber sind Rechtsanwälte zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet, womit auch eine völlige Unabhängigkeit vom Staat gewährleistet wird. Vertreten werden die Rechtsanwälte durch die Rechtsanwaltskammern in den Bundesländern sowie durch den Österreichischen Rechtsanwaltskammertag, ÖRAK, mit Sitz in Wien.

Rückfragehinweis: Österreichischer Rechtsanwaltskammertag,
Bernhard Hruschka Bakk., Tel.: 0699 104 165 18, 01 535 12 75-15 hruschka@oerak.at, www.rechtsanwaelte.at

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