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Rechtsanwälte warnen vor drohender Rückentwicklung des Rechtsstaates

Utl.: Anwaltstag 2010 in Salzburg eröffnet; Der Rechtsstaat muss in vielen Bereichen geschützt werden

Rechtsstaatliche Kriterien, ihre Notwendigkeit für Demokratie und Freiheit sowie die Gefahr eines schleichenden Verlustes dieser Kriterien durch politische Unbedachtheit - so sehen die österreichischen Rechtsanwälte das Arbeitsfeld, dem sich der jährliche, heuer in Salzburg stattfindende, Anwaltstag widmet. „Die Rechtsanwaltschaft als freier Beruf hat immer schon einen besonderen Bezug zur Freiheit, zu den Grund- und Freiheitsrechten sowie den liberalen Bürgerrechten“, beschreibt Gastgeber Dr. Leopold Hirsch, Präsident der Salzburger Rechtsanwaltskammer, die Rolle der Rechtsanwälte im rechtsstaatlichen Gefüge.

Der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages, Dr. Gerhard Benn-Ibler, findet anlässlich der Eröffnung des Anwaltstages im Salzburg Congress vor 250 Vertretern aus Justiz, Politik und Wirtschaft klare und mahnende Worte. Die Verschiebung der Gewichte im Verhältnis von Freiheit und Sicherheit, eine zunehmende Verstrafrechtlichung immer weiterer Lebensbereiche, aber auch die mangelhafte Ausstattung der Justiz sowie unsoziale Hürden im Zugang zum Recht stellen schmerzliche Einschnitte in die Rechtsstaatlichkeit dar, vor denen die Rechtsanwälte warnen. „Es besteht die Gefahr, dass der Rechtsstaat beschädigt und in manchen Bereichen sogar ausgehöhlt wird. Vor dieser drohenden Rückentwicklung warnen wir“, so Benn-Ibler.

Zwtl.: Benn-Ibler: „Bei der Justiz darf es kein Kaputt-Sparen geben“

„Eine funktionierende Justiz bedarf entsprechender Ressourcen“, kommentiert Benn-Ibler die finanzielle Enge, in der sich die heimische Justiz seit geraumer Zeit befindet. Die Justiz sei seit einigen Jahren über ihre Grenzen hinaus belastet, weitere budgetäre Maßnahmen seien daher unumgänglich, alles andere schade dem Standort Österreich sowie der Rechtsstaatlichkeit. „Bei der Justiz darf es kein Kaputt-Sparen geben“, mahnt der ÖRAK-Präsident in Hinblick auf die bevorstehende Sanierung des Staatshaushaltes. Eine Budgetsanierung auf Kosten des Rechtsstaates sei strikt abzulehnen. Schließlich ist die Justiz bereits jetzt selbsttragend, sieht man vom Bereich des Strafvollzugs ab. Es ist aber ebenso abzulehnen, wenn dem Bürger durch drastische Gebührenerhöhungen, wie etwa für Akten-Kopien, immer größere Hürden in den Weg zu seinem Recht gestellt werden. „Wenn für umfangreiche, aber nicht ungewöhnliche Aktenumfänge plötzlich mehrere tausend Euro Kopierkosten anfallen, trägt auch das zur Einschränkung des Rechtsstaates bei“, so Benn-Ibler. Für viele Menschen in diesem Land seien diese Hürden nur mehr schwer zu überwinden.

Zwtl.: Benn-Ibler: „Es wird Politik mit der Angst des Bürgers betrieben“

Als unübersehbaren Angriff auf den Rechtsstaat bezeichnete der ÖRAK-Präsident die immer stärker werdenden Tendenzen, unsere persönlichen Freiheiten gegen eine nur scheinbare Sicherheit zu tauschen. Nach jedem Anlassfall wird immer tiefer in Grundrechte eingegriffen um immer neuere Überwachungsmaßnahmen nach dem Motto „wer nichts zu verbergen hat, braucht keine Angst zu haben“ durchzusetzen. „Wir wollen keinen durchsichtigen Staatsbürger“, so Benn-Ibler, „Hier wird mit der Angst des Bürgers Politik gemacht, dagegen treten wir auf.“

Generell sei zudem eine Verstrafrechtlichung immer weiterer Lebensbereiche zu beobachten. „Zwischen erlaubtem und strafbarem Handeln gibt es einen Bereich, in dem ein solches Handeln zwar sittlich verwerflich, aber noch nicht strafbar ist“, erklärt Benn-Ibler. Dieser Bereich wird immer schmäler. Die Folge: Der Bürger kann nicht mehr klar erkennen, wo die Grenze zur Strafbarkeit verläuft, wodurch wiederum das Gesetz seine Wirkung verliert. „Was man nicht mehr beachten kann, davor verliert man die Achtung“, warnt Benn-Ibler. Die für den Bürger immer unübersichtlichere Gesetzeslandschaft verursache ein Gefühl der Unsicherheit. „Wir wollen daher klare, scharf abgegrenzte Straftatbestände, die das strafbar Verbotene eindeutig erkennen lassen“, so Benn-Ibler, der in diesem Zusammenhang auch auf die Kritik der Rechtsanwälte am geplanten Terrorismuspräventionsgesetz verweist.

Zwtl.: Diskussionen in 3 Arbeitsgruppen: Rechtsstaat muss in vielen Bereichen geschützt werden

Der diesjährige Anwaltstag beschäftigt sich in drei Arbeitsgruppen mit Themen die als Indikatoren für den Umgang mit dem Rechtsstaat gewertet werden können.

• Auch heuer haben die Rechtsanwälte einen Themenblock ausgewählt, der sich mit Angst und subjektivem Sicherheitsgefühl als Faktor der Legislative beschäftigt. „Der Terrorist als Gesetzgeber“ heißt dieser Workshop, der sich an den Thesen des gleichnamigen Buches von Prof. Dr. Heribert Prantl, Innenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung, orientiert und mit einem Impulsreferat des Autors eingeleitet wird.
• Zudem gibt es eine Kommission, welche das neue Insolvenzrecht mit Bezug auf die wirtschaftlich turbulente Zeit beleuchtet und seinen Nutzen für einen funktionierenden Wirtschaftsstandort erörtert. Erste praktische Erfahrungen bei der Anwendung des neuen Sanierungsverfahrens sollen ausgetauscht werden. • Weiters setzt sich ein Workshop mit dem Lissabon-Vertrag und seinen tatsächlichen Auswirkungen auf Rechtsstrukturen der Mitgliedsstaaten auseinander.

Zwtl.: Roman Herzog als Festredner beim Anwaltstag

Mit einem Festvortrag des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Prof. Dr. Roman Herzog zur aktuellen Rolle des Europäischen Gerichtshofes für die Gesetzgebung wird der Anwaltstag 2010 eröffnet. Unter dem Titel „Stoppt den Europäischen Gerichtshof“ hatte Herzog vor zwei Jahren seine scharfe Kritik an der Rechtspolitik des EuGH in Form eines heftig diskutierten FAZ-Artikels unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. „Roman Herzog verkörpert als Staatsmann und Spitzenjurist das redliche und beständige Arbeiten für ein Europa der Bürger, in dem Rechtssicherheit eine Selbstverständlichkeit sein muss“, streut Benn-Ibler dem deutschen Altbundespräsidenten Rosen. „Sein Vortrag zur Rolle des EuGH stellt den Anwaltstag 2010 auch auf die europäische Ebene, auf der auch die Kommissionsthemen Terrorismusprävention und Wirtschaftsstabilität letztendlich gelöst werden müssen. Rechtsstrukturen in einem gemeinsamen europäischen Raum - diese zu sichern, mit zu entwickeln, aber auch sich darin zurechtzufinden, das ist die Herausforderung unserer Zeit“, so Benn-Ibler abschließend.

 

In Österreich gibt es 5500 Rechtsanwälte und 1800 Rechtsanwaltsanwärter. Rechtsanwälte sind bestausgebildete und unabhängige Rechtsvertreter und -berater, die nur ihren Klienten verpflichtet und verantwortlich sind. Primäre Aufgabe ist der Schutz, die Verteidigung und die Durchsetzung der Rechte Einzelner. Dritten gegenüber sind Rechtsanwälte zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet, womit auch eine völlige Unabhängigkeit vom Staat gewährleistet wird. Vertreten werden die Rechtsanwälte durch die Rechtsanwaltskammern in den Bundesländern sowie durch den Österreichischen Rechtsanwaltskammertag, ÖRAK, mit Sitz in Wien.

Rückfragehinweis:
Österreichischer Rechtsanwaltskammertag,
Bernhard Hruschka Bakk., Tel.: 01/535 12 75-15, 0699 104 165 18 hruschka@oerak.at, www.rechtsanwaelte.at

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