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Sicherheitspolizeigesetz: Rechtsanwälte wenden sich in offenem Brief an den Innenausschuss des Nationalrates

Utl.: Evaluierung der bereits bestehenden Bestimmungen und Einführung einer Informationspflicht nach erfolgter Überwachung statt neuerlicher Erweiterung der Polizeibefugnisse;

Morgen, Donnerstag, steht die Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) auf der Tagesordnung des Innenausschusses des Nationalrates. In einem offenen Brief wendet sich Dr. Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK), an die Ausschussmitglieder um diese noch einmal auf die grundsätzlichen Bedenken der Rechtsanwaltschaft hinzuweisen. Wolff regt an, anstatt einer neuerlichen Erweiterung der polizeilichen Befugnisse zunächst eine Evaluierung der bereits bestehenden Bestimmungen durchzuführen. Außerdem sollen die Sicherheitsbehörden per Gesetz dazu verpflichtet werden, unmittelbar nach Wegfall der Gefahr, die betroffenen Bürgerinnen und Bürger über getätigte Überwachungsmaßnahmen nachweislich zu verständigen.

Der Brief im Wortlaut:

Sehr geehrte Mitglieder des Ausschusses für innere Angelegenheiten!

Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) erlaubt sich noch einmal, auf seine grundsätzlichen Bedenken bezüglich der geplanten Novellierung des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) hinzuweisen, die trotz mancher Abänderungen nach wie vor aufrecht sind. Die Novelle stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger dar.

Vor der beabsichtigten Novellierung des SPG ist aus Sicht der Rechtsanwaltschaft eine Evaluierung der bestehenden Bestimmungen des SPG dringend erforderlich. Seit mittlerweile zehn Jahren werden den Sicherheitsbehörden in immer kürzeren Abständen immer mehr Überwachungsmöglichkeiten eingeräumt, ohne jemals Sinnhaftigkeit und Mehrwert für die tatsächliche Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger hinterfragt zu haben.

Auf die Ergebnisse der Evaluierung der Vorratsdatenspeicherung in der Bundesrepublik Deutschland sei verwiesen (http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2012-01/vorratsdatenspeicherung-studie).

Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag regt daher an, zunächst eine Evaluierung der bestehenden Bestimmungen vorzunehmen, bevor eine neuerliche Erweiterung der polizeilichen Befugnisse im Gesetz verankert und damit immer tiefer in Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger eingegriffen wird.

Darüber hinaus ist die nach wie vor fehlende Verpflichtung der Behörde, Betroffene einer Standortdaten-Ermittlung im Nachhinein zu informieren, ein schweres rechtsstaatliches Defizit, das zu Recht auch schon in der geltenden Gesetzeslage kritisiert wurde und nunmehr prolongiert werden soll. In diesem Zusammenhang ist auf ein gegen Österreich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anhängiges Beschwerdeverfahren hinzuweisen (Tretter und Andere gegen Österreich, Beschwerde-Nr. 3599/10, eingebracht am 15.01.2010). Diese Beschwerde richtet sich konkret gegen die Bestimmung des § 53 Abs. 3b SPG und eine in diesem Zusammenhang nicht erfolgte Information über eine Handyortung. Es sind auch Ihre Daten, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die im Zuge sicherheitspolizeilicher Überwachungsmaßnahmen ohne Ihr Wissen ermittelt, gespeichert und verarbeitet werden können, ohne dass Sie im Nachhinein darüber informiert werden, geschweige denn Ihnen die Möglichkeit eingeräumt wird, die Rechtmäßigkeit der Überwachung nachträglich zu überprüfen.

Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag regt daher an, gesetzlich dafür Vorsorge zu tragen, dass die Sicherheitsbehörden dazu verpflichtet werden, unmittelbar nach Wegfall der Gefahr, die betroffenen Bürgerinnen und Bürger über getätigte Ermittlungsmaßnahmen nachweislich zu verständigen.

Hinzuweisen ist, neben den bereits in unserer Stellungnahme geäußerten Kritikpunkten, auch auf die Tatsache, dass für die von sicherheitspolizeilichen Maßnahmen Betroffenen nach wie vor kein Rechtsbeistand vorgesehen ist, um deren Rechte bereits im Zuge der Genehmigung der Überwachung durch den Rechtsschutzbeauftragten zu wahren. Änderungsbedarf besteht aus Sicht des ÖRAK auch in der grundsätzlichen Ausgestaltung der Funktion des Rechtsschutzbeauftragten (tatsächliche Unabhängigkeit, Neustrukturierung). Wie ein Gespräch mit diesem ergeben hat, unterstützt auch der Rechtsschutzbeauftragte selbst sowohl die Kritik der Rechtsanwaltschaft an der fehlenden Informationspflicht im Zuge der Standortermittlung, als auch die Forderung nach einer unbedingt notwendigen Evaluierung der bestehenden Bestimmungen des SPG.

Als Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages ersuche ich Sie, die genannten Bedenken ernst zu nehmen und gerade dort, wo es um die Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger geht, Ihrer großen Verantwortung als deren gewählte Vertreterinnen und Vertreter mit besonderer Sorgfalt gerecht zu werden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Rupert Wolff

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